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Qi, die Lebenskraft mit den vielen Fragezeichen

- oder, was Sie schon immer über qi wissen wollten

qiDieses winzige Wörtchen chinesische qi (pinyin-Umschrift, chi in der Wade Giles-Umschrift, jap.=ki) ist besonders auch in Taijiquan- und Qigong-Kreisen in aller Munde und dennoch ruht auf ihm der "Schleier der Isis", ein mystisch mysteriöser Nebel aus Spekulation, Halbwissen und Marketing-Strategien. Da ich es liebe solche Schleier zu lüften möchte ich hier den Versuch starten dem Interesssierten einen tieferen Einstieg in die Welt des qi zu ermöglichen. Tauchen wir also ein in die Welt des "tschie":

Diese uns fremd anmutende Begriffswelt ist so abgehoben gar nicht, wie sie uns zunächst vielleicht erscheinen mag - im Gegenteil: Sie ist recht verständlich und im wahrsten Sinne des Wortes bodenständig, denn sie wurde formuliert in einer bildhaften Sprache - der chinesischen. Da wir nun mal keine Chinesen sind werde ich versuchen einen verständlichen Transfer zu leisten.

 

Qi, die Lebensenergie

Das chinesische Schriftzeichen für qi symbolisiert aufsteigenden Dampf, in seiner alten ursprünglichen Schreibweise Dampf, aufsteigend aus einem Reistopf. Heben wir einmal nicht ab zu irgendwelchen metaphysischen Spekulationen sondern bleiben bodenständig und nutzen diese Bilder mit den Augen eines Chinesen der Vergangenheit: Ein Kochtopf voll mit wohlriechendem dampfenden Reis - das, was am Leben hält, nährt, verbunden mit dem Aspekt aufsteigender Bewegung, die "prima materia", die Kraft gibt. Das ist qi. Betrachten wir die Welt, das Sein, Mikrokosmos wie Makrokosmos, so ist alles in Bewegung, im Wandel und all diese Bewegung hat im asiatischen Weltbild mit qi zu tun, bzw. das, was in Bewegung setzt, ist eine Form von qi. Hierdurch mag verständlich werden dass es nicht EIN qi gibt, sondern qi vielmehr eine Beschreibung, eine Idee ist, ein begriffliches Konzept für das, was die Welt sich drehen lässt.

So wird das, was die Erde sich um die Sonne drehen lässt als qi verstanden, ebenso das, was den Baum wachsen lässt, meine Finger beim tippen bewegt, was mein Magen gerade macht und tausende andere Dinge, im Grunde alles. Es ist somit keine "fremde, unentdeckte mysteriöse Substanz" sondern ein Konzept.

Qi und jing

Diese beiden Begriffe/Konzepte sind so eng miteinander verbunden wie Trauben und Wein. Oftmals werden sie in der Literatur auch identisch verwandt und führen so regelmäßig zu Verwirrung. Wie kommt das? Nun, das eine steckt im anderen, d.h. das qi wird durch einen Aufbereitungsprozess aus dem jing gelöst. Um das jing aufzubereiten bedarf es wiederum des qi. In manchen Quellen wird vom yuan qi geschrieben, in anderen vom yuan jing. Nach meinem Verständnis und Beschreiben ist jing der latente energetische Ausdruck, qi der der Energie in actu, das Agens. Da der Begriff qi am ehesten benutzt und verbreitet ist, lassen Sie uns den Begriff vorerst beibehalten bis wir später zum Taijiquan gelangen.

Qi im menschlichen Körper

Qi ist der Beweger. Alles, was mit irgendeiner Form von Bewegung und/oder Erwärmung zu tun hat, ist mit qi verbunden. Da dieser Artikel sich jedoch an speziell Taijiquan- und Qigong-Interessierte richtet möchte ich den Fokus nun auf den menschlichen Körper richten. Auch hier finden wir zahlreiche verschiedene "Arten" von qi, nicht eben nur ein qi. Wer sich nur ansatzweise vorstellt, wie viele verschiedenen Prozesse beständig in unserem Leib stattfinden bekommt eine Idee davon, wie viele verschiedene qi es hier zum einen geben mag und zum anderen, wie viel davon gebraucht wird. Und irgendwo muß es ja auch herkommen. Machen wir also einen mutigen Schritt und schauen nach vorne:

Die verschiedenen Formen von qi

Yuan qi - die ursprüngliche Energie

Dieses qi, auch jing qi genannt, kennt zwei Quellen und hat daher zwei Namen: das vorgeburtliche oder vorhimmlische qi und das nachgeburtliche qi. Im Augenblick der Zeugung erhalten wir das vorgeburtliche qi von unseren Eltern - unser Erbe - und es sollte uns für lange Zeit wie ein Reservekanister dienen. Man nennt es auch das qi des Wassers, da es das andere nachgeburtliche qi zu kühlen vermag. Immer dann, wenn wir uns extrem oder über längere Zeit überfordern, die Balance von yin und yang aus dem Gleichgewicht bringen und/oder uns schlecht versorgen (und dennoch tägliche Leistung erbringen müssen) wird unser yuan qi geschwächt, der Kanister angezapft, denn das vorgeburtliche muß das nachgeburtliche qi kühlen. Das nachgeburtliche qi ist jenes, welches wir nähren können bzw. sogar müssen. Wir nehmen es auf zwei Wegen auf, a) durch die Atmung und b) über die Ernährung.

Ja, essen könnte man durchaus auch als eine Form des qigong bezeichnen. Hier finden wir u.a. auch die yin- und yang-Anteile gesunder Seinskultivierung: Es gibt die qi-Form, mit der wir sparsam und behutsam umgehen müssen (bewahren), weil wir nur eine bestimmte Menge davon haben (der bewahrende yin-Anteil) und jene, die wir uns zuführen können (der aktive yang-Anteil der Kultivation). Also auch hier finden wir diese beiden grundlegenden Seinsaspekte yin und yang. Es geht eben nicht nur darum zunehmend qi zu sammeln und zu verbrauchen, sondern auch darum, wie wir etwas was wir haben bewahren können. Wie oft ist es aber eben verquer und wir sind so bemüht unsere Existenz zu sichern dass wir kaum Gelegenheit dazu haben auch wahrlich zu existieren.

Doch genug philosophiert: Der Sitz des yuan qi (oder yuan jing) ist in den Nieren, deswegen nennt man es auch oft das Nieren-qi oder Nieren-jing.

Burnout aus TCM-Sicht

Manchen wundert es, dass er/sie "damals noch ganz andere Leistungen vollbracht hat", Nächte durchgemacht hat und dennoch primär von Pommes und Pizza gelebt hat. Der Fakt, dass ihn/sie nun schon wesentlich geringere Anlässe aus dem psychischen und physischen Gleichgewicht bringen hat denn auch damit zu tun, dass der yuan qi-Kanister ziemlich verbraucht ist, alles "sofort an die Substanz geht". Und das yuan qi lässt sich nicht beliebig auffüllen sondern jeder verfügt nur über die Menge und Qualität, die er/sie bei der Zeugung erhielt. Deshalb ist es gerade so wichtig, das Sein zu kultivieren im Sinne eines ausgewogenen Lebens, welches das yuan qi sparsam verwendet und nicht, wie heutzutage allseits beliebt "verballert". Kennen Sie den Begriff "Burnout-Syndrom"? Er hat direkten Bezug zu yuan qi, was hieraus verständlich wird. Das vorgeburtliche - kühlende - qi ist so gut wie erschöpft (durch ständige Überforderung und Auslastung des Systems) und nur das nachgeburtliche qi "ackert" noch. Das nachgeburtliche qi (des Feuers) aber erhitzt den Körper, der nun mit Feuchtigkeit zu kühlen versucht; die weiter geschürte Hitze ("es muß ja irgendwie weitergehen") lässt die Feuchtigkeit eindicken und sog. "Schleim" entstehen. Der nun wieder verklebt allmählich die Bahnen und die Versorgung der Organe mit qi wird zunehmend beeinträchtigt. Der Burnout steht bevor.

Atmungs- und Nahrungs-qi

Zurück zu den qi-Arten: Wir unterscheiden beim nachgeburtlichen qi zwei Arten: jenes, welches wir durch die Atmung aufnehmen und jenes, welches wir über die Nahrung gewinnen können, das kong qi (Atmungs-qi) und das gu qi (Nahrungs-qi). Das kong qi gelangt über die Atmung/Lunge in den Organismus, das gu qi über Magen/Milz. Beide werden, nachdem sie in den Organen/Funktionskreisen von anderen Stoffen (z.B. Sauerstoff, Nahrungsteile, Flüssigkeiten etc.) getrennt wurden, zusammengeführt und bilden so das zong qi oder Sammel-qi, welches im mittleren Dantian seinen Sitz hat und im "Meer des qi", dem qihai, gebündelt wird. Dieses qi ist der aktive Teil unseres jing, der Lebensessenz; der passive, das "Rohmaterial", ist in den Nieren gesammelt.

Das "rechte qi"

Dieses gesammelte zong qi bedarf nun noch eines Katalysators um in zheng qi, das "rechte qi" umgewandelt zu werden (und ist dann fertig für den Einsatz - zum Trost für alle, denen hier schon der Kopf raucht). Dieser Katalysator ist das eben erwähnte vorgeburtliche (oder vorhimmlische) qi. Beide, zong qi und yuan qi, verbinden sich im unteren Dantian und ergeben das zheng qi. Das reine oder rechte qi (zheng qi) verwendet der Organismus in zwei Formen, dem ying qi und dem wai qi. Das ying qi ist das Nähr- oder Bau-qi (nicht von Nahrung sondern von Nähren), weil es alle Gewebe, Organe etc. nährt und versorgt. Das wai qi zirkuliert in den periphären Schichten und schützt dort vor äußeren schädlichen Einflüssen, es ist das sog. Abwehr-qi. So gibt es noch eine ganze Reihe von qi-Formen, die entsprechend ihrer Funktion bzw. Zugehörigkeit benannt werden, z.B. das Leber-qi, welches das Blut reguliert, das Herz-qi, welches u.a. das Blut befehligt, das Lungen-qi, welches Klares und Trübes trennt, aber auch z.B. das jingluo zhi qi, das qi welches entlang der Leitbahnen fließt - doch alle diese gehören zum zheng qi, zum "rechten qi". Dieses zheng qi steht im Gegensatz zum schlechten oder "bösen" qi, dem xie qi, negativen kranken energetischen Zuständen.

Zurück zum Reistopf

Manchen mag hier der Kopf brummen, darum zurück zum Bild mit dem Reistopf, den wir nun als bildhaftes Modell für den Prozess der qi-Gewinnung nehmen. Wie überall gibt es auch hier die yin- und yang-Anteile. Das qi entsteht aus folgendem Prozess: Das jing, die Essenz (oder Nieren-jing), ist die Rohmaterie im Topf (der Reis), das Nieren-yin ist der Topf selbst und das Nieren-yang und/oder yuan qi die Flamme unter dem Topf. Was aus dem Topf aufsteigt ist das qi, die Lebenskraft. Je schwächer das Nieren-yang, umso mehr vorgeburtliches wird verbraucht im Sinne von, je schwächer das nachhimmlische qi, umso mehr vorhimmlisches wird hineingebuttert.

Wichtig ist nun hierbei zu verstehen, dass das qi immer aus dem jing entsteht, aus ihm herausgelöst wird. Es sind also nicht zwei voneinander unabhängige "Substanzen" sondern im Grunde ein Aspekt, welcher durch "Verfeinerung/Erhitzung" ein agens entwickelt, das qi. Zusammenfassend kann also gesagt werden das das Wort qi jeweils bezogen auf eine bestimmte Qualität und/oder Tätigkeit verwandt wird und daher auch jeweils verschiedene Bezeichnungen erhält (um den ganzen qi-Salat auseinander zu halten). Es führt also in die Irre spräche man (und man spricht gerne so) vom dem einen qi-Fluß.

Wer bis hierher einigermaßen den Kontext verstanden hat vermag nun klarer zu fragen, wenn bei manchemTaijiquan-Lehrer die Rede vom qi-Fluß ist. Gerne werden ja im Unterricht Sätze aus Klassikern oder in Anlehnung daran zitiert: "Lass das qi zum Dantian sinken!" oder "Das qi muß über den Fuß durch den Körper bis in die Handspitzen fließen!" und mehr.

Welches qi denn bitte? Das Jingluo-qi der Leitbahnen, zheng qi, gu qi oder was? Manche antworten "Tja, die Konzentration halt, die Aufmerksamkeit!" Aber dies ist das "yi", die willentliche Intention/awareness, nicht mehr. Dieser Frage möchte ich mich in einem folgenden Artikel widmen. Bis dahin angeregtes Grübeln und Recherchieren!